Von Worten zu Taten“ – die Fischereiminister der wichtigsten Fischfangnationen der Welt haben sich ein anspruchsvolles Motto verordnet. Anfang Mai versammelten sie sich unter diesem Leitsatz im kanadischen Ort St. John’s in Neufundland zu einer internationalen Konferenz über die Regelung der Hochseefischerei. Kanadas Premierminister Paul Martin appellierte an die Delegierten, „die historische Chance wahrzunehmen und ein für alle Mal damit zu beginnen, der Plünderung unserer Fischbestände und Ozeane Einhalt zu gebieten“.
Doch die Gelegenheit für Beschlüsse blieb ungenützt. Die Koalition zur Bewahrung der Tiefsee, ein breites Bündnis von Umweltschutzorganisationen, übte herbe Kritik an der in St. John’s verabschiedeten Minister-Erklärung. Weder verpflichtet sie die Unterzeichner zu konkreten Aktionen, noch bestimmt sie Fristen für den Schutz mariner Lebensräume. Die Zerstörungen, die bestimmte Fangmethoden wie der Einsatz von Schleppnetzen am Meeresgrund anrichten, werden nicht einmal erwähnt. Dabei bräuchte es ein sofortiges Verbot, um die langlebigen und langsam nachwachsenden Fischarten im offenen Ozean sowie die extrem störungsanfälligen Ökosysteme der Tiefsee wirksam zu schützen. Zahlreiche Arten sterben aus, ehe sie überhaupt erforscht werden konnten.
Die hohe See galt noch vor wenigen Jahrzehnten als lebensfeindlicher Raum – vergleichbar einer Wüste auf dem Land –, den nur wandernde Arten wie Wale, Thunfische oder Schildkröten aufsuchten. Dieses Bild hat sich in den letzten 30 Jahren gründlich gewandelt. Mit dem U-Boot Alvin entdeckte man 1977 rund um Heißwasserquellen am Meeresgrund riesige Röhrenwürmer, gelbe Muscheln und eine Fülle anderer, völlig neuartiger Lebewesen. Tausende von erloschenen Vulkanen übersäen den Meeresboden, jeden umgibt ein eigenes, einzigartiges Ökosystem. Dazu kommen Tiefseegräben, über zehn Kilometer unter die Meeresoberfläche hinabreichende Lebensräume von Krebsen und Weichtieren. Besonders vielfältige Lebensformen beherbergen Kaltwasser-Riffe, zerbrechliche Korallensysteme in kühlem, nährstoffreichem Wasser. Der offene Ozean ist auch reich an mikroskopisch kleinen Lebewesen: In einer einzigen Tasse Meerwasser aus der Sargasso-See bei Bermuda fand man 2003 über 1.800 bislang unbekannte mikrobische Arten.
„Wie groß die Biodiversität der Hochsee genau ist, ist nicht bekannt, doch sie ist immens“, meint Graema Kelleher, Leiter der Hochsee-Arbeitsgruppe der Weltkommission für Schutzgebiete. Jährlich entdecke man genug neue Lebensformen in den Weltmeeren, um die vorher geschätzte Zahl fast zu verzehnfachen. „Sie sind nicht nur die letzte große ökologische Grenze, sondern wahrscheinlich das weltweit reichste Neuland in Sachen Biodiversität.“
Diese einst vor menschlichen Einflüssen sicheren Ökosysteme sind heute vor allem durch das Abfischen des Meeresbodens akut bedroht. Bei dieser weit verbreiteten Praxis werden mit Gewichten beschwerte Schleppnetze in einer Tiefe von 500 bis etwa 2.000 Metern über den Meeresgrund gezogen. Die Netze zertrümmern Kaltwasser-Korallenriffe und dezimieren die Lebewesen rund um Unterwasser-Vulkane. Seit einigen Jahren legen MeereswissenschaftlerInnen Beweise über das Ausmaß der Schäden vor und vergleichen diese Methode mit dem Kahlschlag von Wäldern. Maßnahmen zum Schutz der Lebensräume in der Tiefsee sind laut übereinstimmender Ansicht von UmweltbiologInnen dringend notwendig. Was ist bisher geschehen?
Beim Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg vor fast drei Jahren einigten sich die Delegierten darauf, bis zum Jahr 2012 ein Netzwerk mariner Schutzgebiete zu errichten. Es soll alle wichtigen Lebensräume sowohl inner- als auch außerhalb nationaler Hoheitsgebiete umfassen. Auch ein Aktionsplan zur Umsetzung dieses Vorhabens wurde verabschiedet. Im Februar 2004 griff die siebte Konferenz der bis dahin 188 Unterzeichnerländer der Konvention über Biologische Vielfalt in Kuala Lumpur dieses Ziel auf, ebenso wie der Weltumwelt-Kongress, der im November 2004 in Bangkok stattfand. Letzterer forderte zusätzlich die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf, ein Moratorium gegen das Schleppnetz-Fischen in der Tiefsee zu beschließen. Die im November von der UN-Generalversammlung verabschiedete Resolution fiel allerdings recht zahm aus: Staaten werden dazu aufgerufen, das interimistische Verbot zerstörerischer Fischereipraktiken „in Erwägung zu ziehen“.
Bisher beschränkt sich der Schutz mariner Lebensräume auf küstennahe Gebiete. Innerhalb der bis 370 Kilometer ins Meer reichenden exklusiven Wirtschaftszonen der Küstenstaaten, die der jeweiligen nationalen Rechtssprechung unterliegen, gibt es etwa 4.000 marine Reservate. Sie decken weniger als 0,5 Prozent der gesamten Meeresoberfläche ab. Zählt man nur jene Bereiche, in denen jede Art von Fischfang untersagt ist, reduziert sich der Anteil auf 0,01 Prozent. Naturschutzgebiete auf dem Land nehmen im Vergleich etwa elf Prozent der Gesamtfläche ein. Auf hoher See gibt es bis heute kein einziges davon.
Eine Schwierigkeit liegt darin, dass internationale Gewässer bisher als für alle frei zugängliches „Niemandsland“ gelten. Die Hochseekonvention des Jahres 1958 bekräftigte das Recht aller Nationen, diese Gebiete auszubeuten. Sie wurde im Jahr 1982 durch die Seerechtskonvention der UNO abgelöst, die im Prinzip die Nationen zur Bewahrung der Ressourcen des Meeres verpflichtet. Da das Abkommen keine konkreten Schutzbestimmungen enthält, hat es die immer intensivere Plünderung der Ozeane aber nicht verhindert.
Nun haben mit 2012 mehrere internationale Konferenzen erstmals eine Frist für die Einrichtung mariner Schutzzonen vorgegeben. Sie konkretisierten aber weder die Anzahl solcher Gebiete, noch welchen Anteil der Meeresfläche sie umfassen sollen. Eine Orientierungshilfe brachte der im Jahr 2003 in Durban, Südafrika, abgehaltene Weltpark-Kongress. Dort legten UmweltbiologInnen fest, dass bis zum Jahr 2008 mindestens fünf Schutzzonen auf hoher See errichtet werden müssen, soll das Ziel 2012 erreicht werden. Sie identifizierten mehrere Gebiete, die dafür in Frage kommen. Als rechtliche Grundlage könnte etwa das 2001 in Kraft getretene UN-Abkommen über Fischbestände dienen, das die Fangraten bei wandernden Fischarten wie Thunfisch senken soll.
Selbst wenn es damit gelingen sollte, die Lücken im internationalen Recht zu schließen, wird sich die Fischereiindustrie gegen jede Einschränkung wehren. Sie beurteilt ihre derzeitigen Methoden als nachhaltig, weitere Begrenzungen würden den wirtschaftlich vom Fischfang abhängigen Ländern schaden. Nach Daten der UNO werden jedoch bereits zwei Drittel der genutzten Arten bis an die Grenze der Belastbarkeit – und vielfach darüber hinaus – befischt. Langfristig – so das Argument der UmweltschützerInnen – werde auch die Industrie von Schutzmaßnahmen profitieren, da marine Reservate die Bestände sowohl innerhalb als auch jenseits ihrer Grenzen wieder wachsen ließen.
Als erfolgreiches Beispiel führt Callum Roberts, ein Meeresbiologe von der Universität York in Großbritannien, die karibische Insel St. Lucia an. Dort haben sich die Fangmengen in der Nähe von Reservaten innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt. Auch auf der Georges Bank nahe der Küste von Neu England hat sich, laut Roberts, die Anzahl der voll ausgewachsenen Muscheln verzehnfacht, seit in der 1994 errichteten Schutzzone Fischen mit Schleppnetzen verboten ist.
Roberts schätzt die Betriebskosten eines Netzwerks von Reservaten, das 20 bis 30 Prozent des Ozeans umfasst, auf 5 bis 19 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Zum Vergleich: Die Fischereiindustrie wird jährlich mit 15 bis 30 Mrd. Dollar subventioniert. Doch selbst wenn die Mittel aufgebracht und die Fischereiindustrie überzeugt werden können, bleibt ein Stolperstein: Wie sollen derart große Gebiete auf hoher See wirksam kontrolliert werden? Eine wichtige Rolle werden dabei moderne Technologien wie die Überwachung von Schiffen per Satellit spielen. In Australiens Great Barrier Reef wird eine solche Methode, wenn auch in kleinem Maßstab und in Küstennähe, bereits erfolgreich eingesetzt. Zu diesem Zweck müssen alle Schiffe mit Satelliten-Navigationssystemen und Sendern ausgestattet sein.
Angesichts der zahlreichen Hürden ist unklar, ob das Netzwerk mariner Reservate bis 2012 verwirklicht wird. Parallel dazu müssen die Fischfangflotten deutlich reduziert und destruktive Praktiken aufgegeben werden, sollen die globale Fischereikrise gelöst und das Aussterben vieler Arten verhindert werden. Ob der politische Wille dafür ausreichen wird, hängt auch davon ab, wie viel Druck die Öffentlichkeit und Umweltorganisationen auf die Regierungen ausüben können.
Bücher und WebadressenCharles Clover:
Fisch kaputt: Vom Leerfischen der Meere
und den Konsequenzen für die ganze Welt. Riemann,
München 2005
Daniel Pauly und Jay Maclean:
In a Perfect Ocean: The State of Fisheries and Ecosystems in the North Atlantic Ocean. Island Press, Washington 2003
Biodiversitätskonvention (CBD):
www.biodiv.orgKoalition zur Bewahrung der Tiefsee:
www.savethehighseas.orgSee Around Us Project:
www.seaaroundus.orgWorld Commission on Protected Areas (WCPA):
www.iucn.org/themes/wcpaWorld Database on Protected Areas:
www.unep-wcmc.orgWorldFish Center:
www.worldfishcenter.org